GPB - Dirgieren - Vorbereitung zur Bundeschorleiterschulung
 
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CHORLEITUNG

Thema: Der erste Einsatz

GRUNDSÄTZLICHES

Der Chorleiter hat die Aufgabe, Klangvorstellungen zu vermitteln. Dazu sind deutliche Ansagen und eindeutige Dirigierbewegungen erforderlich. Leider muß festgestellt werden, daß es beim Dirigieren oft an der nötigen Eindeutigkeit mangelt. Manche Worte könnte man sich sparen, wenn eine unmissverständliche Schlagtechnik die Bläser zum exakten und musikalischen Spiel anleiten würde.
Was versteht man unter "unmisserständlicher Schlagtechnik"? Was sind "eindeutige Dirigierbewegungen"?
Neben der Fähigkeit, deutliche Schlagbilder für die entsprechenden Taktarten zu dirigieren (das wird hier vorausgesetzt), gehört zur deutlichen Schlagtechnik der eindeutige erste Einsatz. Eindeutig ist dieser, wenn er alle notwendigen Informationen für die Musiker enthält bzw zeigt. Zu diesen gehören: TEMPO, DYNAMIK, ARTIKULATION UND DIE STIMMEN (die einsetzenden Instrumente). Anhand praktischer Beispiele möchte ich die einzelnen Informationen erklären und mit dem Lernenden ausprobieren.

1. TEMPO

  • Beispiel 1:
  • NGL
  • 323

Um sich Klarheit über das Tempo zu verschaffen, singe man sich das Lied durch. Charakter der Melodie und Inhalt des Textes verlangen ein frischen Tempo (etwa MM= 120). Der Vorbereitungsschlag muß dieses Tempo anzeigen, damit alle Stimmen- nach gemeinsamen Einsatz- im gewünschten Tempo weiterblasen (ohne "Klappern"). Zwei Fragen müssen zunächst beantwortet werden, bevor man einen ordentlichen Vorbereitungsschlag ausführen kann:
a. In welchem Takt steht das Lied? b. Handelt es sich um einen Beginn im Auftakt oder im Volltakt?
In unserem Beispiel haben wir einen -Takt und einen Beginn mit Volltakt. Demnach beginnt der Vorbereitungsschlag bei der 4 und endet auf der 1 des ersten Taktes.
Nun soll die Beherrschung trainiert werden. Dazu empfehle ich folgende Übungen: a. Man nehme mit dem rechten Arm die Grundstellung ein. Während man laut das Tempo des Liedes zählt 1-2-3-4-1-2-3-4-1-2-3-4 usw, halte man den Arm ruhig. Nachdem man drei Takte gezählt hat, führe man im 4. Takt den Schlag aus. Dieser beginnt auf der 4 und endet auf der 1 des 5. Taktes. Dort angekommen, halte man den Arm- nach einer natürlichen Rückfederung- wieder ruhig. Dann beginnt die Übung von vorn. Zwei Dinge müssen beachtet werden: das laute Zählen ohne Unterbrechung und das Beibehalten des Tempos. b. wie a- man zähle nur noch gedanklich. c. wie b- nun verkürze man die Zeit vor dem Schlag. In der Praxis darf die Wartezeit zwischen Grundstellung und Vorbereitungsschlag auch nicht zu lang sein, da sonst Unsicherheit und Ungeduld der Bläser die Spannung überziehen und damit die Sache beeinträchtigen.

  • Beispiel 2:
  • NGL
  • 615

Dieses Lied mit seinen kleinen Notenwerten und Synkopen kann nur im gemäßigten Tempo (MM= 88) gesungen oder geblasen werden. Man übe den Vorbereitungsschlag wie im Beispiel 1. Zur Hilfe bietet sich das Metronom an, da bei langsameren Tempi die Gefahr des Schnellerwerdens besteht. Die Eindeutigkeit des Vorbereitungsschlages in Bezug auf das Tempo ist hier von besonderer Bedeutung, da der Tenor mit seiner Achtelbewegung pünktlich Schlag 2 erreichen muß. Ist der Vorbereitungsschlag unklar- d.h. nicht mit dem beabsichtigten Tempo identisch, besteht die Gefahr des "Klappern".

  • Beispiel 3:
  • NGL
  • 359

Die Intonation steht im -Takt und beginnt mit Auftakt. Der Vorbereitungsschlag beginnt also hier auf 3 und endet auf 4.
Übungen: siehe Beispiel 1
Tempo: MM= 104

  • Beispiel 4:
  • NGL
  • 557

Die Besonderheit dieses Auftaktes ist, daß er nicht auf dem Schlag beginnt. Der Bläser muß also den Punkt zwischen 4 und der 1 des ersten (Voll-)taktes "erwischen". Da er das weiß, müsste es eigentlich genügen, wenn der Dirigent seinen Vorbereitungsschlag wie im Beisp.1 beginnt. Auch das Tempo würde dem Beispiel 1 (MM= 120) entsprechen. Das Problem besteht allerdings in der nur halb so langen Reaktionszeit. Diese würde den sicheren Einsatz stark beeinträchtigen. Der Dirigent hat also zwei Aufgaben, um das Problem zu lösen. Er muß die Reaktionszeit verlängern. Das geschieht durch optisches (nicht akustisches!!!!) Vorzählen. Außerdem gilt es, den Vorbereitungsschlag von der 4 auf die 1 deutlich auszuführen. An dieser Stellen sollte man beide Arme benutzen. Folgende Schritte sind einzuhalten:

  • Grundstellung mit beiden Armen
  • Vorzählen mit der kleinen Bewegung des rechten Handgelenkes 1-2-3
  • Auf Schlag 4 übernehmen beide Arme den Vorbereitungsschlag

Zu beachten ist, daß der linke Arm während des Vorzählens ganz ruhig in der Grundstellung auf die 4 wartet.

2. DYNAMIK

Jede Hand und jeder Arm haben ihre Aufgaben. Der rechte Arm ist in erster Linie für das Metrum (=Tempo) und den Takt verantwortlich. Er zeigt das Metrum, indem er die entsprechenden Taktfiguren schlägt. Dagegen hat die linke Hand gestalterische Funktion. "Man benützt sie hauptsächlich für die Gestaltung des klanglichen Bildes, vor allem auch zur Angabe der Dynamik. Mit ihr dämpfe ich ab, hole an anderer Stelle heraus, führe die Steigerung bis zur Höhe und bestimme das Abnehmen, kurzum, ich suche durch ihre Bewegung Klangschönheit und Ausdruck hervorzuzaubern." (Fritz Volbach)
Damit der erste Einsatz auch in Bezug auf die Dynamik eindeutig sein kann, bitte ich Folgendes zu beachten:
Hermann Scherchen nennt die normale Grundstellung des rechten Armes den "natürlichen Ausgangsort aller Dirigierbewegungen". Diese Stellung ermöglicht Bewegungen nach oben und unten bzw nach rechts und nach links. Außerdem kann man Arm näher zum Körper führen oder vom Körper entfernen. Es empfiehlt sich, mit Hilfe eines Spiegels diesen Aufgangsort zu finden. Die normale Grundstellung kündigt einen Einsatz in mf an. Die Größe des Vorbereitungsschlages muß dann dieser Dynamik entsprechen. Soll ein Einsatz im f oder gar ff geschehen, muß die Grundstellung etwas mehr vom Körper entfernt eingenommen werden. Die Vorbereitungsbewegung wird größer sein. Die einladende Geste der geöffneten linken Hand verbietet jeden Zweifel über einen geplanten Forte-Einsatz. Ist die rechte Hand ganz nah an den Körper geführt und zeigt die linke Hand eine zurückhaltende Geste, dann wird bei entsprechend kleinem Vorbereitungsschlag der Einsatz im p oder pp gelingen. Nicht so beliebt ist die "drohend-ängstliche" geöffnete Handfläche der linken Hand. Sie will sagen: Seid ja nicht zu laut!!!
Zum Üben benutze man den Spiegel. Zunächst nehme man die normale Grundstellung ein. Dann gehe man zum f und ff sowie p und pp. Die nächste Aufgabe besteht darin, die Vorbereitungsschläge zu beobachten. Laden diese zu einem kräftigen Einsatz ein? Wird Piano eindeutig vorbereitet?
Bei folgenden Übungsbeispielen können nun die beiden Informationen für einen eindeutigen ersten Einsatz TEMPO und DYNAMIK kombiniert trainiert werden.

  • Beispiel 5:
  • NGL
  • 233
  • schnell und kräftig
  • Beispiel 6:
  • NGL
  • 327
  • langsam und leise
  • Beispiel 7:
  • NGL
  •     1
  • schnell und kräftig
  • Beispiel 8:
  • NGL
  • 277
  • gehend und mit vollem Ton
  • Beispiel 9:
  • NGL
  • 365
  • leicht, flüssig und nicht zu laut

3. ARTIKULATION

Nicht nur Tempo und Dynamik, sondern auch die Artikulation charakterisiert einen ersten Einsatz. So muß auch diese deutlich gezeigt werden. Unter Artikulation versteht man die Art und Weise, einen Ton zu beginnen oder die Töne miteinander zu verbinden. Grundsätzlich unterscheiden wir Bläser zwischen (mit der Zunge) gestoßenen Tönen und gebundenen Tönen. Bei den Gestoßenen unterscheiden staccato (kurz) und portato (lang) die Verbindungen von Tönen. Ein Ton kann mit normaler Intensität oder scharf (Akzent) beginnen.

Nun gilt es, diese verschiedenen Möglichkeiten auch dirigentisch auszudrücken. In der Praxis habe ich festgestellt, daß dieses Thema kaum im Blick ist: Jeder hat seine Art, zu dirigieren. Der eine dirigiert grundsätzlich Märsche. Seine zackigen Bewegungen motivieren nicht gerade dazu, einen Bachchoral auf Linie zu gestalten. Der andere ist stets zu weich, so daß er Probleme hat, die Intrade von H.-K.Hessel mit ihren frischen bläserischen Achtelbewegungen entsprechend zu gestalten. Bereits der Vorbereitungsschlag muß also die gewünschte Artikulation anzeigen. Hier unterscheiden wir zwei Arten:

  • Beispiel 10:
  • NGL
  • 395

Man dirigiere dieses Lied, indem man mit der rechten hand die Figur des -Taktes zeichnet. Dabei muß man natürlich die Schlagpunkte 1-2-3-4 kennen, um die Figur überhaupt ausführen zu können. Jedoch verzichte man darauf, diese Punkte zu markieren. So werden die Bläser motiviert, weich zu stoßen. Die Bewegungen sind gleichmäßig, ausgeglichen und weich. Entsprechend wird die Musik klingen. Wenn man das beherrscht, ist man auch in der Lage, den Vorbereitungsschlag auszuführen. Er entspricht der Bewegung von der 1 auf die 4.

  • Beispiel 11:
  • NGL
  • 250

Auch hier sollte man zunächst einmal das Lied dirigieren. Der marschmäßige Charakter verlangt einen kurzen, deutlichen Anstoß der Bläser. Diesen bekommt man, indem man die einzelnen Schlagpunkte deutlich markiert. Der Vorbereitungsschlag hat dann den gleichen Charakter. Man dirigiert ganz bewußt vom Punkt 4 zum Punkt 1. Je schärfer der Punkt 4 markiert wird, umso plötzlicher atmen die Bläser ein und umso schärfer wird der erste Ton angestoßen.
Nun kann man die 3 Informationen bereits kombinieren. Zum Üben hier einige Varianten:

  • Beispiel 12:
  • NGL
  • 385
  • MM= 100
  • mf
  • weich
  • Beispiel 13:
  • NGL
  • 547
  • MM= 88
  • f
  • deutlicher Stoß (Signal am Anfang)
  • Beispiel 14:
  • NGL
  • 296
  • MM= 104
  • f
  • deutliche Tonwiederholungen
  • Beispiel 15:
  • NGL
  • 152
  • MM= 96
  • mf
  • sehr weich
  • Beispiel 16:
  • NGL
  • 461
  • MM= 100
  • f
  • gut gestoßen- aber nicht zu kurz

4. STIMMEN

Eine wichtige, manchmal notwendige Information ist die der Stimmen. Zwar haben alle ihre Noten aufgeschlagen und jeder weiß, welches Lied oder welches Vorspiel geblasen werden sollen. Trotzdem sollte der Dirigent sich den wichtigen Stimmen zuwenden. So ist der Einsatz eindeutig. Die betreffenden Bläser wissen: Jetzt sind wir dran- jetzt sind wir wichtig. An dieser Stelle ist der Blickkontakt entscheidend.
An zwei Beispielen wollen wir auch dieses Thema üben:

  • Beispiel 17:
  • NGL
  • 214

Zunächst lerne man die Takte auswendig. Tenor beginnt- Baß folgt einen Takt später- wieder einen Takt später setzt der Alt ein- nach weiteren zwei Takten beginnt der Sopran. Nun stelle man sich seinen Chor vor und achte beim auswendigen Dirigieren auf den Blickkontakt und die Eindeutigkeit der Dirigierbewegung bzw der folgenden Einsätze. Die Bewegungen des Kopfes müssen klar sein und dürfen nicht zu spät oder zu hektisch geschehen.

  • Beispiel 18:
  • NGL
  • 136

wie Übung 17- hier etwas schwerer zu lernen- außerdem Auftakt.

Ralf Splittgerber, August 1997

Literatur: Hermann Scherchen "Lehrbuch des Dirigierens" (1929)
Fritz Volbach "Der Chormeister" (1931)